Dienstag, 2. Juli 2013

Silber Sommer Galerie

"Mit Essen spielt man nicht" hören wir alle noch unsere Mütter sagen!

Dass man damit, ohne den Ruch des desspektierlichen, sehr gut spielen kann beweist ein Projekt mit dem poetischen Namen "Silber Sommer Galerie".
Ulla Mayer, lange Jahre Professorin der Klasse für Gold- und Silberschmieden an der Akademie der bildenden Künste Nürnberg, hatte Anfang 2002 die vorausschauende Idee. Sie stiftete die Studierenden an, ihr Silbergerät aus den Vitrinen ins Leben zu holen und es zur Benutzung frei zu geben. Mit der "Silber Sommer Galerie" auf der Inhorgenta Messe in München kamen die Besucher in den Genuß neue Entwürfe, Unikate und Prototypen der Studierenden nicht nur kennen zu lernen sondern auch auszuprobieren.
Die Aktion "Silber Sommer Galerie" wurde über viele Jahre zu einem erfolgreichen Projekt der Akademie auf der Inhorgenta. Es inszenierte eine Selbstverständlichkeit. Silber- und anderes Gerät der Studierenden konnte hier nicht nur bestaunt, bewundert und auch hinterfragt werden. Es wurde benutzt, erobert und diskutiert. Das Koch Team von El Paradiso aus Nürnberg kreierte sogar eigene Gerichte für die manchmal sonderbaren oder ungewöhnlichen Geräte der Ausstellung.




Die Gerätschaften der "Silber Sommer Galerie" boten, für Gäste wie Aussteller, Inspiration und neue Erfahrungen im Umgang mit Essen, Trinken und dem eigens dafür entwickelten Gerät. Als "Erlebnis Restaurant" der besonderen Art passte die "Silber Sommer Galerie" ideal in den Kontext der Messe. Sie etablierte sich als Treffpunkt für Geschäftsleute, Designer, Künstler und Kunden.
Der Tisch, die Tafel, ist per se der Kommunikatonsort schlechthin. In den meisten Kulturen der Welt wird den gemeinsamen Mahlzeiten ein ganz besonderer, kommunikativer Wert beigemessen. Hier teilt man gemeinsam Themen und Speisen, in angeregter Unterhaltung  - am großen Tisch der "Silber Sommer Galerie" bereichert um Erfahrungen mit den innovativen Geräten der jungen Gold- und Silberschmiede. Wahrlich eine perfekte Symbiose, die sicher auch für andere Designmessen gut funktionieren würde.
Im Jahr 2010 übernahm Alessandra Pizzini, frühere Assistentin von Professorin Mayer, das Projekt.




Auch ihr Ziel ist es, dem Publikum zeitgenössisches Tafelgerät näher zu bringen. Die Entwicklung einer neuen Tischkultur zu fördern und, nicht zuletzt, ein Podium für junge Designer und deren innovative Stücke zu schaffen. Sie öffnete die Aktion 2011 auch für Studierende weiterer Hochschulen, weil sie sich dadurch noch mehr fruchtbare Debatte, noch mehr Abwechslung und Inspiration für alle Beteiligten erhoffte. Die Gold- und Silberschmiedeklassen aus Pforzheim, Birmingham und Hildesheim kamen dazu.
Für Alessandra Pizzini steht die Zusammenarbeit und gemeinsame Reflexion mit den Studierenden und Gästen über Ess-Rituale, Handhabung und den gesellschaftlichen Stellenwert von Essen, im Vordergrund des Projektes. Die "Silber Sommer Galerie" bietet ein Forum, das es so kein zweites Mal gibt. Es ermöglicht ebenso überraschende wie wertvolle Erfahrungen. Alessandra Pizzini schildert das besondere Beispiel der "Futterspieße" von Ja Kyung Shin. Diese ganz langen Gabeln ermöglichen, sich gegenseitig aus größerer Entfernung zu füttern – allerdings kann man nicht selbst damit essen! "Es war fantastisch zu beobachten, wie die Dinge plötzlich ganz intim wurden. Was passiert, wenn jemand über den großen Tisch einem anderen eine Olive an den Mund führt? Nimmt er sie an? Vereigert er den Kontakt? Ist es lustig oder eher unangenehm?" Solche Fragen stellen sich nicht an einem normalen Tisch mit üblichen Essgeräten. Aber sie stehen für inspirierend neue Möglichkeiten gemeinsam zu essen und zu kommunizieren. Experimente und Anregungen dieser Art finden sonst eher selten ein öffentliches Forum.






Im Jahr 2012 gastierte das Projekt der "Silber Sommer Galerie" in veränderter Form auf der IHM – Internationalen Handwerksmesse München. Die Studierenden der Metallklassen aus Halle – Burg Giebichenstein, London – Metropolitan University und Düsseldorf – Fachhochschule ergänzten die Gruppe der Aussteller um ein weiteres Mal. Die Aktion auf der IHM nannte sich "walking table", d.h. Ein Tisch wanderte im Sinne eines "pop up events" über die Messe und lud das Publikum ein, mit Exponaten Tee oder Kaffee zu trinken und sich darüber auszutauschen. Ergänzend fand ein Designgespräch mit Simone ten Hompl und Christine Lüdecke statt. Auch hier genossen alle die unkonventionelle und inspirierende Begegnung mit den Geräten der Studierenden.
 

Nach der "Silber Sommer Galerie" auf der Inhorgenta, wo tafeln und speisen im Mittelpunkt standen – nach der Reise der Dinge beim "Walking Table" der vergangenen Handwerksmesse, plant Alessandra Pizzini für 2013 die "Silber Sommer Galerie" als Ausstellung "Zu Tisch" wieder auf der IHM. Sie wird flankiert von einem Unternehmensforum zum Thema "Unikat und Serie" bzw. "Produkt und Unikat". Da die Zahl der Teilnehmer inzwischen derart angewachsen ist, wird eine Auswahl der Exponate durch die Kuratorin, mit Unterstützung der Galeristin Rosemarie Jäger, vorgenommen. Hierbei soll berücksichtigt werden, welche Themen und Tendenzen an den verschiedenen Hochschulen besonders aktuell sind. Der Kreis der eingeladenen Hochschulen erweiterte sich um die Keramikklasse Halle – Burg Giebichenstein und die Stockholm – Konstfack. Die Veranstalter hoffen ganz besonders auf die aktive Teilnahme der Studierenden, die während der Ausstellung ihre Objekte erklären oder in Performances vorstellen können. Verpflichtend ist für sie die Teilnahme an dem begleitenden Forum, bei dem ausgewiesene Fachleute als Referenten zu den Fragen "Wie schütze ich meine Ideen", "Wie vermarkte ich meine Produkte?", "Wie spreche ich über meine Objekte?" Stellung nehmen werden. Simone ten Hompel, Professorin an der London Metropolitan University, wird in einem Gespräch mit den jungen Designern einige prägnante Stücke betrachten um die Wichtigkeit des schöpferischen Schaffensprozesse zu diskutieren.

Alessandra Pizzinis Organisations- und Verhandlungsgeschick ist es zu verdanken, dass sich die "Silber Sommer Galerie" immer wieder neu erfindet und damit die wohlwollende – und ökonomische – Unterstützung durch die Messeveranstalter bekommt. Als ein lebendiges Ereignis, das zum Thema Tischkultur und Tafelgerät neuen, überraschenden und unkonventionellen Beiträgen ein wertvolles Forum bietet und damit auch die Messe bereichert. Hier kommt inzwischen die europäische Avantgarde zusammen, um sich gemeinsam den Fragen des Publikums, der Fachleute und Kollegen zu stellen und ihre Erkenntnisse daraus zu ziehen.

Der Wunsch nach individuellen Objekten als Ausdruck der unverwechselbaren Identität des Benutzers wird in unserer Gesellschaft immer spürbarer. Die Tafel als Sinnbild für private oder öffentliche Gemeinschaft ist schon immer ein wichtiger Ort der Kommunikation gewesen. Am gedeckten Tisch wird gemeinsam gegessen, geredet, gefeiert und Zusammenhalt gelebt. An diesem Ort werden Utenislien gebraucht, die gleichzeitig Werkzeug und Symbol sind. Mit ihren Vorschägen hinterfragen die jungen Designer alltägliche Gesten und Funktionen, Rituale und Gewohnheiten rund um die Zeremonie des essens und trinkens bei Tisch. Ihre Impulse aus dem Kontext der "Silber Sommer Galerie" sind eine wertvolle Bereicherung für die Messe und ihre Besucher.  
© Schnuppe von Gwinner 2012 - veröffentlicht in der Zeitschrift Kunsthandwerk & Design 1/2013

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