Robert Race ist der Typ, den sich jedes Kind von ganzem Herzen zum
Großvater wünschen würde. Ein stiller, freundlicher Mann, der kein
Wort zu viel sagt und doch voller Überraschungen steckt. Aber er
berichtet gerne aus seinem reichen Leben als "toymaker",
als Spielzeugmacher, wie es auch in seinem Pass steht. Sein
Leben wechselt zwischen Phasen introvertierter Tüftelei und Kreation
und Phasen intensiver Öffentlichkeit, in der ihm seine vielen
Bewunderer mit intensiver Neugier und Emotionen begegnen. Beides
geniesst er sichtlich, meistens mit einem veschmitzten Lächeln. Als
ich ihn vor vielen Jahren kennen lernte verkörperte er für mich
sofort das alte Sprichwort "stille Wasser sind tief". Er
selbst würde sich nicht als humorvoll bezeichnen, eher als vergnügt
und unbeschwert. Er liebt es Geschichten zu erzählen und mit
schrägen Ideen zu verblüffen. Und er hofft natürlich, die Menschen
mit ihrem Witz bezaubern.
Im
engen Strassengewirr der englischen Kleinstadt Bradford on Avon steht
das uralte, graue Steinhaus, das er seit Jahrzehnten mit seiner
Frau Thalia bewohnt. Es steht dort schon viele hundert Jahre,
nach aussen trutzig und wehrhaft. Doch das Innere offenbart sich als
beredter Lebensraum seiner Bewohner. Die Wände des Wohnzimmers sind
hinter Bücherregalen verborgen, in denen es sich nicht nur Bücher
sondern auch jede Menge Spielzeug und kleine Kunstwerke gemütlich
gemacht haben. Die Möbel, so berichtet Robert Race stolz, habe alle
sein Vater entworfen. Nach dem Krieg. Für die ersten Prototypen
wurden Anfang der 50er Jahre die notwendigen Metallteile aus alten
Waffen recycelt. Der Einfluss des Designer-Vaters auf den Sohn
kamjedoch erst spät zum tragen. Der Onkel hatte als Wissenschaftler
mehr Einfluss auf den jungen Robert, der in seinem Arbeitsleben eine
wissenschaftliche Karriere als Lehrer und Schulleiter machte.
Schon
in den 80ger Jahren widmete sich Robert mehr und mehr
seiner Spielzeug-leidenschaft. Er bereiste Mexiko, Japan, Indien und
Indonesien. Dort faszinierten ihn die Spielzeugbauer die, oft an den
Strassen sitzend, aus einfachsten Materialien und mit bescheidenen
Mitteln faszinierende Spielzeuge herstellen. Die Entdeckung dieser
Künstler begründete sein tiefes Interesse und, vor allem, seine
Sammlung an Spielzeugen aus aller Welt, die ihresgleichen sucht.
Robert stieg immer mehr in das Thema ein. Er baute erst "nur"
kleine Objekte für die gut etablierte englische "Dollhouse"
(Puppenhaus) Szene. Fast in jedem englischen Dorf gibt es einen Laden
für Puppenstuben und Zubehör, die unter anderem auch von lokalen
Bastlern beliefert werden, sodass man überall sehr individuelle
Dinge für sein Puppenhaus finden kann. Das ganze Thema ist
unter Sammlern in England bis heute extrem populär.
Doch
Robert suchte nach mehr. Ihm entgingen auch nicht die Entwicklungen
um das Cabaret Mechanical Theatre, das Ende der 80ger Jahre von
Fallmouth in einen kleinen Showroom in Covent Garden nach London
umzog. Es etablierte sich eine "Automata maker" Szene
um Sue Jackson, Peter Markey und Paul Spooner, die eine immer
größere Anhängerschaft und immer mehr Automata maker für
sich gewann. Robert Race sagt, dass er relativ spät etwas davon
mitbekommen habe, doch das Thema "mechanisches
Künstlerspielzeug" habe offenbar in der Luft gelegen. Ein
Glück, denn so entstanden auch für ihn ideale Bedingungen seine
Objekte auszustellen und zu verkaufen. Andererseits war er immer ein
Aussenseiter dieser Szene, weil seine Spielobjekte so besonders und
anders als die der anderen waren und sind. Die kleine Bewegung ist
der Schlüssel zu seinen Arbeiten. Formal haben sie als Figuren und
Objekte schon eine Ausstrahlung - doch erst die Bewegung erweckt sie
zum Leben und vermittelt ihr einzigartiges Wesen.
Wenn
man sagt, man fährt ans Meer, dann hofft man auf einen schönen
Ferientag. Für Robert Race bedeutet ein Ausflug an den Strand harte
Arbeit. Ein paar Mal im Jahr fährt er, vor allem wenn es gerade
einen schönen Sturm gegeben hat, an die Küste und sammelt Material.
Treibgut, Treibholz, Steine mit Loch und Muscheln, lauter Schätze,
die er oft Kilometer weit über den Kieselstrand schleppen muss.
Dieser Tag am Strand, so sagt er, ist gleichzeitig sehr inspirierend
und körperlich anstrengend. Nichts wird dort festgelegt, alles ist
offen. Erst wenn er seine Beute zuhause in das kleine
Hinterhaus-Lager einräumt, sortiert er das Gefundene nach möglichen
Optionen. Ein lange liegen gebliebenes Stück kann durch einen
Neuzugang durchaus die Berufung zu einem Meisterwerk bekommen, ein
anderes plötzlich in völlig neuem Zusammenhang gesehen werden.
"Keep
it simple" ist ein Leitspruch von Robert. Seine Werke leben mit
dem Echo der voraus gegangenen Leben ihres Materials. Seine Wesen
interpretieren angebotenen Formen neu und oftmals geradezu anrührend.
An einem "Muttering Bird" ist genau genommen nicht viel
dran, doch mit klappenderndem Schnabel erzählt er uns unendlich viel
von der Welt. Und so geht es auch mit den anderen Wesen, den
schwebenden und hüpfenden Vögeln, den nimmermüde kreisenden
Insekten, den treu blickenden "ruminants", den
Wiederkäuern, und den emsigen Kanuten und Indianern, die nicht müde
werden Vögel, Kaninchen und Katzen in ihrer "hölzern' Wurzel"
über imaginäre Wasser zu schippern.
Robert
kann es aber auch ironischer, wenn er ein "rowing couple"
(ruderndes Paar) in einem Boot gegeneinander antreten lässt. Fein
beobachtet! Objekte wie "talking birds" oder "
watching girls passing by" verraten, dass Robert keineswegs ein
weltfremder Träumer ist. Er ist ein feiner Beobachter, der mit mit
einer kleinen, simplen Bewegung zaubert. Wer je die Gesichter der
Menschen beobachten durfte, die sich seinen Figuren nähern wird
verstehen: dieses Lächeln und Erstaunen beinhaltet auch immer ein
Erkennen. So einfach ist das! Der "balancing bird" schwebt
an einer gebogenen Fahrradspeiche um seinen zerklüfteten
Treibholzfelsen: eine kleine Brise, ein Pusten, ein Luftzug setzt ihn
- und unsere Emotionen - in Bewegung. Eine kleine Holzkurbel
oder ein Pendel - mehr braucht Robert Race nicht um aus einem
Stöckchen, zwei Federn, einem Stück Draht, und vielleicht einer
kleinen Muschel, ein ganzes Universum an Assoziationen und Gefühlen
entstehen zu lassen und uns damit in seinen Bann zu ziehen.
Als
seine Kinder aus dem Haus waren baute er die "Seaside Machine"
– ein sensationelles Ungetüm, das von den Badewagen inspiriert
wurde, wie sie vor über hundert Jahren an den Meeresstränden üblich
waren. Also ist es völlig klar, dass man in der „Seaside Machine“
eine gut sortierte Bibliothek leichter Ferienliteratur und
Liegestühle findet, aber auch Musik und ein Puppentheater,
verschiedene Windspiele, kleine Schübe und Vitrinen für die
Fundstücke die man ja immer am Strand findet – und jede Menge
kleiner und erstaunlicher Überraschungen. Diese
Donnerwetter-Maschine brauchte einen Platz und so gab die Familie
Race kurzerhand ihr Esszimmer auf und ließ sie dort einziehen. Auch
der größte Teil der Spielzeug-Sammlung hat dort in
respeteinflössenden Archivschränken eine Heimat gefunden. Nur wenn
die Großfamilie zusammen kommt muss die Maschine im Garten stehen –
sonst wird in der Küche gegessen.
Überall
im Haus stehen und hängen Spiel- und Spassobjekte, die man beim
Zähne putzen ebenso bewundern kann wie vor dem einschlafen, auch
wenn man sich da eher auf die Schäfchenzählmaschine über dem
Gästebett konzentrieren muss.
Über
all dem schwebt ganz oben unter dem Dach das Himmelreich von Rober
Race: seine Werkstatt und Sachensammlung. Hier oben, mit einem weiten
Blick über die alte kleine Stadt, spinnt Robert seine Geschichten
und überträgt sie in zauberhafte Objekte. Mit grenzenloser Fantasie
und viel Geduld entwickelt er dort die Szenerien, Figuren und Wesen,
die durch einen kleinen Stups, einen subtilen Dreh oder leises Pusten
für einen kurzen magischen Moment zum Leben erwachen und uns glauben
machen wollen, dass echtes Leben in ihnen steckt.
© Schnuppe von Gwinner 2012 - veröffentlicht in der Zeitschrift Handmade Kultur 1/2013 Januar - März 2013
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