Dienstag, 2. Juli 2013

"Do you like blue sky?" - die Illustratorin Christine Hohenstein

Zwischen blauem Himmel und grüner Wiese. Kirschtörtchen mit Schlagsahne, rot gewürfelte Picknickdecke, schöne Frauen, schicke Flitzer und die Wäsche flattert im Wind. Der blaue Himmel ist existentiell wichtig für jemanden, der im bayerischen Wald aufgewachsen ist!
Wie bitte?
Schon sind wir mitten drin in der Fantasiewelt von Christine Hohenstein! Ihre fröhlich-rätselhafte Poesie spielt mit uns und unseren Assoziationen, Erinnerungen, Träumen. Ihre Illustrationen locken mit amüsanten Klischees und erzählen tausenderlei eigene und fremde Geschichten. Ihre Titel sind Inspiration, aufgeschnappte Worte, Schlagzeilen von vorvorgestern oder morgen, wie z.B.  "Kaugummi für die Augen", "Bella Margherita" und "Inneres Bockbierfest"!


Christine erzählt von ihrer eigenen "Heidi-Alm-Bilderbuchkindheit" im bayerischen Wald. Als ideale Vorbereitung für einen kreativen Beruf, in dem sie weiter spielen und fantasieren möchte. Als Kind nähte sie Kleider und Taschen für ihre Puppen. In der Ausbildung waren es vor allem historische Kostüme. Als Gesellin dann Modelle in einer "Haute Couture" Schneiderei. Das sei viel Spaß gewesen, sagt sie. Doch das Freie, Erzählerische, Künstlerische war so weit weg und der Kontakt zu den Menschen fehlte ihr. Auf der Suche nach einem tiefen, inspirierenden Mehr an Anregung ergriff sie die Gelegenheit eines Neubeginns. Von ihrem Studium der Kunst und Literatur an der Universität Nürnberg-Erlangen sagt Christine: "Das war die beste Zeit, die ich je hatte!"

Welch' ein Glück für sie und für uns alle!
Sie schreibt Kurzgeschichten.
Sie malt Bilder, übermalt Postkarten, experimentiert mit Collagen. Begleitet von sehr guten Lehrern, wie sie betont, findet sie irgendwann eher zufällig ihren ganz eigenen Stil, der so wunderbar zwischen Realität und Fiktion hin und her hüpft. Der die Fantasie des Betrachters dazu anregt, auch seine ganz individuelle Sichtweise in die Deutung der Bildgeschichten mit einzubringen. Das vermeintlich Bekannte liegt in den Elementen der Collage. Schriften, Figuren und Dinge, ausgeschnitten aus Magazinen und Zeitschriften, arrangiert Christine in den gemalten Räumen ihrer Bilder in neuen Zusammenhängen. Die Proportionen verschieben sich. Blumen werden zu Bäumen. Der Eifelturm steht auf der grünen Wiese und der alte "DKW" MEINER Großmutter schaut beim Blumen gießen zu. Ja, das kann passieren!


Christine Hohenstein wirft einen ganz besonderen Blick auf die Welt. Sie lässt uns mit rotem Schirm, rotem Mund und  in roten Ballerinas zwischen Himmel und Erde balancieren. Auf dem feinen Drahtseils eines Pinselstrichs, aufmerksam und sensibel für die kleinste Anspielung. Ihre Bilder sind wie Gedanken, in denen sich die Realität mit unseren, ihren oder euren Wünschen und Träumen vermischt. Wie etwas schön sein könnte, freundlich, sogar ideal? Aufgepasst! Hin und wieder lauert auch ein Spielverderber im Detail. Dass das Leben nicht nur einfach  ist weiß sie nur zu gut. "Man muss es mit der richtigen Portion Humor und Leichtigkeit angehen um es zu schaffen", sagt sie und versteht genau das als Botschaft ihrer Bilder.





  "Do you like blue sky?" fragen ihre chinesischen Freunde. "Jaaaa!" antwortet Christine und staunt, dass der Smog über Peking meistens so tief hängt, dass man den blauen Himmel dort gar nicht mehr sieht. Noch mehr staunt sie darüber, dass die Menschen hier den blauen Himmel gar nicht zu vermissen scheinen. Christine Hohenstein zog im vergangenen Jahr nach China. Zuerst ließ sie sich von ihrer eigenen Hochzeit überraschen. Dann fiel die Entscheidung - erst einmal - für drei Jahre nach China umzuziehen. Nun lebt sie mit ihrem Mann und ihrer Katze Milla in einem Vorort der chinesischen Stadt Dalian am Meer ungefähr eine Flugstunde nördlich von Peking. Sie beschreibt den Schrecken der Vorstellung für so eine lange Zeit nach China  gehen zu müssen. Und zitiert im nächsten Augenblick mit fester Stimme ein Gedicht von Rainer Maria Rilke:

Du musst das Leben nicht verstehen,
denn es wird werden wie ein Fest.
Und lass dir jeden Tag geschehen
so wie ein Kind im Weitergehen
von jedem Wehen
sich viele Blüten schenken lässt.

Christine erkennt dieses Gedicht als genaue Beschreibung ihrer aktuellen Situation. Sie berichtet begeistert von ihrem Alltag in China, der ihr jeden Tag neue, wertvolle Begegnungen und Bekanntschaften schenkt. Die Überraschungen und erstaunlichen Erkenntnisse, die ihr der chinesische Alltag bietet, reißen nicht ab. "Wenn man sich öffnet und mit guter Laune den Tag begeht, kommt man in dieser so fremden Fremde gut zurecht." Die Chinesen sind immer freundlich, hilfsbereit und neugierig. Ihre Nachbarn in der internationalen Kommune der "Expatriats" in Dalian sind Schotten, Iren, Spanier, Franzosen und Israeli - eine bunte Mischung von Menschen, die sie als inspirierend empfindet. Doch nicht alle genießen diesen Zustand des 'aus der Welt gehoben seins' so wie Christine, die von ihrer Berufung erfüllt ist. Die das chinesische Exil für sich als "Himmel auf Erden" beschreibt, "als echte Traumerfüllung!". Sie kann jeden Tag, so lange sie möchte, im Atelier arbeiten und ihren Ideen und Projekten uneingeschränkt nachgehen.
Zuhause in Bayern gab es diese schöpferische Freiheit auch, aber nie so uneingeschränkt wie in Dalian. Bevor Christine nach China ging, arbeitete sie sechs Jahre als Realschullehrerin für Kunst und Deutsch in München. Kreative Auszeiten gab es in diesen Jahren nur selten. Wenn doch, reiste Christine nach Italien. Das kleine Bergdörfchen Civitella d’Agliano bei Orvieto besucht sie seit ihrer Studienzeit. Auch hier genoss sie die fremde, die schon immer ihren Blick für Neues schärfte.

 
Und jetzt ist sie in China - weit, weit weg von zuhause und doch ganz nah, denn das World Wide Web bietet ihr spannende Möglichkeiten der Kommunikation und Selbstdarstellung, die für Christine zentrale Bedeutung bekommen haben. Auf ihrer Homepage, Facebook und ihrem Blog kann jeder der mag in Echtzeit die Entstehung ihrer Kunstwerke, die Entwicklung ihrer Bild- und Erzählprojekte verfolgen und kommentieren, oder an den chinesischen Alltagsabenteuern von Christine und ihrer Katze Milla teilhaben. Ihr bayerischer Blaue-Himmel-Blick taucht neugierig ab in die chinesischen Kosmos und bringt ebenso unterhaltsame wie skurrile Geschichten hervor.
Doch nicht nur für Christine ist die Situation aufregend neu. Das Tempo der Entwicklung in China ist rasend schnell für alle Menschen, die dort leben. "Ich komme mir manchmal vor wie auf einem anderen Stern" sagt Christine Hohenstein. "Fast täglich gibt es Situationen, wo ich denke: wo bist Du denn gelandet? So etwas habe ich noch nie gesehen!" Und daraus werden wieder neue Geschichten und neue Bilder. Zum Beispiel für das geplante neue Bilderbuch, in dem Christines Glückskatze Milla uns nicht nur auf chinesische Katzen-Art zu winken*, sondern von ihre persönlichen Katzen-Einsichten in den chinesischen Alltag berichten wird.

© Schnuppe von Gwinner, April 2012 - Der Artikel erschien reich bebildert in der Zeitschrift Handmade Kultur Nr. 06 | Juni/Juli 2012
Anmerkung
*Ein altes chinesisches Sprichwort sagt: „Wenn eine Katze ihr Gesicht wäscht, wird es Regen geben.“ Nach einer chinesischen Erzählung war ein Adeliger in einem Wald unterwegs, als ein Baum umzustürzen drohte. Eine Katze warnte ihn, indem sie ihm mit der linken Pfote Zeichen gab. Er hielt inne, der Baum stürzte an ihm vorbei, und so war sein Leben gerettet. Als Dank ließ er an dieser Stelle einen Tempel errichten. Seither gilt die winkende Katze als Glückssymbol.





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